HIMMELSMECHANIK

Der Himmel dreht sich – jede Nacht

Warum gibt es Tag und Nacht? Die physikalische Antwort darauf lautet: Weil sich die Erde um sich selbst dreht. Ohne Erdrotation würde die eine Hälfte der Erde unerbittlich von der Sonne aufgeheizt werden, während die sonnenabgewandte Hälfte ständig im eisigen Schatten läge. Zum Glück dreht sich die Erde, sodass wir abwechselnd sowohl in den Genuss der Sonnenstrahlung als auch des nächtlichen Schattens kommen. (Dank der schützenden Atmosphäre, die sich tagsüber nur langsam aufwärmt und nachts nur langsam wieder abkühlt, haben wir stets milde, lebensfreundliche Temperaturen.) Das alles ist sehr essenziell für unser Dasein. Zudem versüßt uns die Erdrotation auch das Leben mit der Tatsache, dass wir während der abgeschatteten Phase, die sich Nacht nennt, einen freien Blick in die unendlichen Weiten des Weltalls haben.

Wir beginnen mit einer Binsenweisheit: „Im Osten geht die Sonne auf … Im Westen muss sie untergehen …“ (Die fehlenden Reimteile werden wir später ergänzen.) Wenn nun die Sonne von Ost nach West wandert – nicht, weil sie sich dreht, sondern weil wir uns um uns selbst drehen – was machen dann die Sterne am Nachthimmel? Das gleiche. Auch sie wandern während der Nacht von Ost nach West. Und die Planeten? Auch. Wir verändern während eines 24-Stunden-Tages ständig unsere Perspektive auf die Sonne, den Mond, die Planeten, die Sterne und alles andere. Deshalb wandert unaufhörlich alles am Himmel Richtung Westen.

Der ganze Himmel wandert stetig von Ost nach West. Der ganze Himmel? Der ganze Himmel mit Ausnahme eines kleinen gallischen Dorfes, das sich Polaris oder Polarstern nennt. Dieser Stern liegt zufällig in der Nähe des Himmelsnordpols. Deshalb wandert Polaris nicht von Ost nach West, sondern bleibt stehen. Wenn Sie um 21 Uhr abends über den Schornstein Ihres Nachbarn gepeilt 5 cm nach oben und 2 cm nach rechts den Polarstern sehen und um 4 Uhr morgens erneut aus dem Fenster schauen, dann finden Sie Polaris an gleicher Stelle wieder. (Es wäre natürlich schon großer Zufall, wenn Polaris wirklich in der Nähe des Schornsteins Ihres Nachbarn zu finden wäre.) Wenn Sie nun nicht über den Schornstein Ihres nördlichen Nachbarn hinweg schauen, sondern sich einen Fixpunkt über dem Haus ihres östlichen Nachbarn suchen, werden Sie feststellen, dass die Sterne, die dort um 21 Uhr zu sehen waren, um 4 Uhr morgens über dem Gebäude Ihres westlichen Nachbarn stehen – sie sind nach Westen gewandert. Über dem Schornstein Ihres östlichen Nachbarn sind im Verlauf der Nacht andere Sterne neu aufgegangen.

Um das alles zu erklären, machen wir zunächst wieder eine Reise in die Vergangenheit. Wie stellte man sich früher die Himmelsmechanik vor? Es gab natürlich über die Jahrtausende verschiedene Erklärungsansätze und Vorstellungswelten. Manche sehr phantasiereich, andere durchaus mit guten logischen Ansätzen. Stellen wir uns mal vor, die Sterne wären nicht in den Tiefen des Weltalls verstreut, sondern sie wären Pünktchen, die auf eine Hohlsphäre (eine hohle Kugel) gemalt wurden, die die Erde umgibt. Von dieser Vorstellung rührt auch das Wort Firmament her. Man dachte, die Sterne wären an einer Art gläsernen Sphäre angebracht, die über der Erde schwebt, hängt oder was auch immer – das Firmament. Auch wenn das nicht der physikalischen Realität entspricht, ist es eine sehr gute Beschreibung dessen, was wir sehen. Diese Sphäre um uns herum dreht sich nun also. In Wirklichkeit dreht sich die Erde und nicht die Außensphäre, aber für uns als Beobachter macht das keinen Unterschied.

Sie kennen den Effekt von Bahnhof. Sie sind gerade eingestiegen und haben am Fenster Platz genommen. Sie freuen sich, dass der Zug losrollt, und stellen im gleichen Moment fest, dass ihr eigener Zug doch noch steht und stattdessen der danebenstehende Zug, den Sie aus dem Fenster sehen, sich in Bewegung setzt. Wenn zwei Züge in entgegengesetzter Fahrtrichtung nebeneinanderstehen und einer von beiden losfährt, können die Insassen allein durch die Beobachtung des Nachbarzuges nicht feststellen, welcher von beiden fährt und welcher noch steht. In der Realität verrät uns das Ruckeln oder Nicht-Ruckeln des eigenen Zuges, welcher von beiden Zügen sich in Bewegung setzt. Die rein visuelle Beobachtung des gegenüberstehenden Zuges ist aber wenig aussagekräftig. Bei Erde und Firmament haben wir das gleiche Problem. Dreht sich die Erde oder dreht sich das Firmament um uns herum? Da wir kein Ruckeln wahrnehmen, dreht sich wahrscheinlich das Firmament. Klingt nach einer guten Arbeitshypothese.

Mit der Zeit haben wir festgestellt, dass die Welt in Wirklichkeit anders aussieht, aber um die Angelegenheit mit dem Himmelsnordpol zu klären, reicht uns diese Vorstellungswelt: Die Erde ist eine Kugel, auf der wir leben, umgeben von einer Hohlkugel, auf der die Sterne angebracht sind. Diese äußere Sphäre, das Firmament, dreht sich. Dazu wurde ein gläserner Spieß durch Erde und Firmament getrieben, um den sich das Firmament dreht, während die Erde steht. Ich glaube das alles entspricht keiner der antiken Weltvorstellungen zu einhundert Prozent. Aber wie gesagt: Es ist eine praktische Arbeitshypothese, die wir im Anschluss wieder in die uns bekannte physikalische Realität übersetzen werden.

Am Nordpol

Machen wir eine Reise in kalte Gefilde. Wie würde der Himmel sich bewegen, wenn wir am Nordpol stünden? Die Sterne könnten wir natürlich nur während der Polarnacht sehen – dem Winterhalbjahr, in dem die Sonne nie richtig aufgeht. Polarnacht und Polartag hängen übrigens mit der Neigung der Erdachse zusammen. Das passt aber nicht in unser Spieß-Weltbild und wir wollen uns momentan noch nicht damit befassen.

Kommen wir zur eigentlichen Frage zurück: Wie verhält sich der Himmel am Nordpol? Wir stehen auf der Erde, wo der gläserne Spieß aus dem Boden herausragt. Der Punkt, wo das Firmament am gläsernen Spieß verankert ist, liegt jetzt genau im Zenit über uns. Das ist der Himmelsnordpol. Wir beobachten das Firmament, während es binnen 24 Stunden einmal gegen den Uhrzeigersinn rotiert. Die Sterne Verhalten sich so, wie auf der folgenden Illustration dargestellt.

Wie bewegen sich die Sterne, wenn man am Nordpol nicht schnurstracks nach oben, sondern flach zum Horizont schaut? Die Sterne wandern langsam von links nach rechts. Nach 24 Stunden ist die Umwanderung beendet und beginnt von Neuem.

Am Äquator

Wann wir uns in den Flieger setzen und eine Reise zum Äquator machen, was dann? Wenn wir senkrecht nach oben schauen (zum Zenit), dann zeigen die Sterne von Ost nach West vorbei. Wenn wir flach zum Horizont schauen, kommt es auf die Himmelsrichtung an. Beim Blick nach Osten steigen die Stern nach oben. Beim Blick nach Westen, nach unten.

Was passiert, wenn Sie Ihren Blick nach Norden oder Süden richten? Wenn wir zum nördlichen Horizont blicken, liegt der Himmelsnordpol direkt vor uns. Die Sterne wandern gegen den Uhrzeigersinn um den Himmelsnordpol herum. Wenn wir zum südlichen Horizont schauen, haben wir den Himmelssüdpol exakt in Blickrichtung. Die Sterne wandern im Uhrzeigersinn um den Himmelssüdpol herum.

In Mitteleuropa

Nun wohnen Sie wahrscheinlich weder am Nordpol noch am Äquator, sondern vielleicht eher in Mitteleuropa oder irgendwo anders auf der Nordhalbkugel, so um den 50. Breitengrad. Das heißt, dass der Himmelsnordpol bei Ihnen nicht am Boden liegt, sondern in der Luft hängt. Auf welcher Höhe? Bei 50°, dem Breitengrad entsprechend. Der Himmelssüdpol ist für Sie nicht sichtbar, da er weit unter dem Horizont liegt.

Wenn wir zum Osthorizont schauen, steigen dort die Sterne langsam auf. Am Westhorizont sehen wir, wie die Sterne nach unten wandern und letztlich untergehen.

Wenn wir nach oben, zum Zenit blicken (90°), wandert alles über unsere Köpfe hinweg von Ost nach West. Greifen wir an dieser Stelle nochmals den Merksatz zum täglichen Sonnenlauf auf: „Im Osten geht die Sonne. Im Süden ist ihr Mittagslauf …“ Die Sonne bewegt sich in unseren Breitengraden nicht schnurstracks durch den Zenit von Ost nach West, sondern sie macht eine seichte Südkurve. In der Nacht verhalten sich die Sterne genauso. Führen wir deshalb kurz einen neuen Begriff ein: den Himmelsäquator – die gedachte Linie, die auf halber Strecke zwischen Himmelsnord- und -südpol einmal rund um das Firmament verläuft. Im folgenden Schaubild haben wir den Himmelsäquator eingearbeitet. Würden wir am Erdäquator wohnen, würde der Himmelsäquator direkt über unsere Köpfe hinweg verlaufen (durch den Zenit). Da wir bei ca. 50° nördlicher Breite wohnen, ist der Himmelsäquator nach Süden gekippt. Das bedeutet, wenn wir nach Osten schauen, verläuft er von links unten nach rechts oben und wenn wir nach Westen schauen, von links oben nach rechts unten. Der höchste Punkt des Himmelsäquators liegt in exakt südlicher Richtung und (bei uns) auf einer Höhe von 40° (90° - 50°) über dem Horizont.

Wie wandern die Sterne, wenn man flach zum Südhorizont schaut? Der Himmelssüdpol liegt unter der Horizontlinie. Deshalb liegt den Punkt, um den die Sterne ihre Kreisbewegung durchführen außerhalb unserer Sicht. Dass die Sterne eine bogenartige Bewegung um den südlichen Dreh- und Angelpunkt des Firmaments hinlegen, sehen wir aber trotzdem.

Wenn wir zum nördlichen Horizont blicken, haben wir ungefähr auf halber Höhe zum Zenit (50° ist ungefähr die Hälfte von 90°) den nördlichen Dreh- und Angelpunkt des Firmaments. Die Sterne drehen sich gegen den Uhrzeigersinn um diesen Punkt. Das bedeutet, dass die Sterne unterhalb des Polarsterns im Laufe der Nacht nach rechts wandern und die Sterne über dem Polarstern im Laufe der Nacht nach links wandern.

An dieser Stelle wollen wir noch ein paar allgemeine Informationen zum Polarstern einstreuen: Wir haben Glück, dass ein relativ heller Stern ziemlich exakt beim Himmelsnordpol liegt und uns so in der Vergangenheit beispielsweise bei der Schiffsnavigation geholfen hat. Auch heute sind Hobbyastronomen auf den Polarstern angewiesen, um ihre Teleskope richtig auszurichten. (Es gibt natürlich auch andere Methoden.) In der Südhemisphäre hat man dieses Glück nicht. Es gibt keinen besonders hellen Stern, der beim Himmelssüdpol liegt. Was gibt es sonst noch zum Polarstern zu sagen? Entgegen dem, was man manchmal hört, ist der Polarstern nicht der hellste Stern am Himmel. Aber er gehört zumindest zu den Top 50. Man nennt ihn Nordstern, Polarstern oder Nordpolarstern. Offiziell hat man ihn Polaris getauft. Er ist der hellste Stern im Sternbild Kleiner Wagen bzw. Kleiner Bär (Ursae Minoris). Und weil er der erste Stern am Ende des Schwanzes des Bären ist, heißt der „Alpha Ursae Minoris“, auch „α Ursae Minoris“ geschrieben oder kurz „α UMi“.

Noch kurz ein Schlenker zurück zum Merksatz, in dem es heißt: „Im Osten geht die Sonne auf. Im Süden ist ihr Mittagslauf. Im Westen muss sie untergehen. Im Norden ist sie nie zu sehen.“ Warum ist das so? Warum steht die Sonne bei uns nie in Richtung Norden? Das hat mit unserer Position auf dem Globus zu tun. Die Sonne ist immer in der Nähe des Himmelsäquators unterwegs. Sie steht deshalb am Erdäquator mittags im Zenit. (Genau genommen finden wir die Sonne immer auf der Ekliptik. Durch die Erdneigung liegt die Ekliptik bis zu 23° über oder unter dem Himmelsäquator. Später mehr dazu.) Auf der Südhalbkugel, wo der Himmelsäquator nach Norden gekippt ist, steht die Sonne mittags hoch am Himmel Richtung Norden. Und bei uns, auf der Nordhalbkugel, wo der Himmelsäquator nach Süden gekippt ist, macht die Sonne tagsüber dieselbe seichte Südkurve, die die Sterne nachts absolvieren, sodass die Sonne mittags hoch um Süden steht.

Vorstellungswelten

Wie war das mit dem Firmament und dem gläsernen Spieß? Unsere Arbeitshypothese besagte, dass die Sterne alle ans Firmament (eine Hohlsphäre, die unseren Globus umgibt) geklebt sind. Diese äußere Sphäre dreht sich. Die gläserne (nicht sichtbare) Achse, an der alles befestigt ist, markiert beim Durchbruch durch die Erdkruste den Erdnord- bzw. Erdsüdpol und an der Stelle, wo die Himmelssphäre befestigt ist, den Himmelsnord- bzw. Himmelssüdpol. Der gläserne Spieß hat also eine reale Entsprechung: Die Erdachse.

In der Realität dreht sich nicht die Himmelsphäre um die Erde, sondern die Erde rotiert, während der Himmel stillsteht. Aber denken Sie an die zwei Züge im Bahnhof. Welcher fährt und welcher steht? Man kann den Unterschied visuell nicht ausmachen. Anstatt, dass sich das Firmament von oben (Norden) aus betrachtet, im Uhrzeigersinn dreht, dreht sich stattdessen die Erde gegen den Uhrzeigersinn um sich selbst. Das kommt am Ende für den Betrachter aufs Gleiche raus.

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